Die Karpatenpost November 2015
Verwaiste Kirchen - Mühlenbach
Für Frantiṧek Šťastný, den slowakischen Autor des Buches „Opustené kostoly Horného Spiṧa“ („Die verwaisten Kirchen in der Oberzips“), hat die Mühlenbacher evangelische Kirche bereits ihre Identität verloren. Nach dem Krieg und der Vertreibung diente sie der örtlichen Kolchose als Getreidespeicher und Geräteschuppen, bevor sie fast zwei Jahrzehnte lang bis 2009 ein Automuseum beherbergte und seither leer steht.
Evangelische Kirche in Mühlenbach 2014 Foto: W. Laser
Dabei gehörte Mühlenbach/Mlynica aus historischer Sicht zu den bedeutendsten Zipser Städten und kann auf eine glorreiche Vergangenheit, zurückschauen, auch was die Reformation anbelangt. Urkundlich wird der Ort erstmals 1268 als Milymbach erwähnt. Sein Pfarrer gehörte der „Bruderschaft der 24 königlichen Pfarrer“ an, die dem Zipser Propst unterstanden und wichtige Privilegien, wie die freie Pfarrerwahl, erhielten. Es war die erste urkundlich nachweisbare zipsersächsische Organisation. Es gibt Historiker, die davon ausgehen, dass diese Bruderschaft schon vor dem Mongoleneinfall, Ende des 12. Jh., gegründet wurde. Aus dieser kirchlichen Organisation heraus bildete sich kurz darauf auch eine politische Vereinigung, der „Bund der 24 Zipser Städte“, deren Oberhaupt der Zipser Graf war. Mühlenbach gehörte auch diesem Bund an. Diese frühe Bedeutung Mühlenbachs spiegelt sich auch in der katholischen Pfarrkirche „Zur Hl. Margarete“, deren romanische Gebäudeteile auf einen Bau um 1250 schließen lassen, wider. Als der ungarische König Sigismund 1412 wegen Geldnot 13 Zipser Städte steuerrechtlich Polen verpfändete, gehörte Mühlenbach nicht dazu. Dies sollte sich bald als Nachteil herausstellen, denn während die 13 verpfändeten Städte ihre Freiheiten weitgehend verteidigen konnten, gelang dies Mühlenbach und den anderen 10 bei Ungarn verbliebenen Zipser Städten nicht. Sie blieben zwar kirchenrechtlich Mitglieder der „Bruderschaft der 24 königlichen Pfarrherren“, gerieten aber bald, Mühlenbach 1465, politisch unter das Regiment der Zipser Burg, den Palatin des ungarischen Königs, der Familie Zapolya. Von der wurde Mühlenbach 1531 an die begüterte Adelsfamilie Thurzo veräußert. Alle 11 Zipser Städte verloren die städtischen Privilegien, wurden unfrei und sanken zu Dörfern herab, einige von ihnen verloren ihre deutsche Identität. Mühlenbach hatte mit den Thurzos aus protestantischer Sicht Glück, denn die Thurzos waren im 16. Jh. den reformatorischen Gedanken nicht abgeneigt. So war es Graf Johann Thurzo, der es 1543 ermöglichte, dass Georg Leudischer, der als einer der ersten Reformatoren der Zips gilt, die Pfarrstelle in Mühlenbach übernehmen konnte und dort bis 1547 im reformatorischen Sinne sein Amt führen konnte. Zunächst gegen den Widerstand der 23 anderen Pfarrherren, die ihn 1543 noch wegen Ketzerei verklagen wollten, aber 1547, mehr oder weniger vom reformatorischen Gedankengut infiziert, sich bei Leudischer in Mühlenbach zu einer Versammlung trafen. Das Wirken Leudischers strahlte nicht nur auf die umliegenden Städte und Dörfer, sondern auf die gesamten Städte und Dörfer der Bruderschaft aus. Diese konfessionelle Lage änderte sich 1636, als die Thurzos die Gemeinde an Graf Czaky weiter veräußerten, der wieder die Gegenreformation unterstützte, sich aber zunächst gegen die Bruderschaft der 24 Pfarrherren nicht durchsetzen konnte. Erst 1672 war es soweit, dass auch in Mühlenbach der evangelische Pfarrer vertrieben wurde, die Kirche an die Katholiken zurückgegeben werden musste und evangelische Gottesdienste und Zusammenkünfte verboten wurden. Den Mühlenbachern blieb nur die Wahl, in der 10 km entfernten Artikularkirche in Botzdorf Gottesdienste zu besuchen oder in die Bethäuser der an Polen verpfändeten 13 Städte auszuweichen, wo unter vielen Auflagen noch legal evangelische Gottesdienste abgehalten werden durften. Trotz dieser Maßnahmen wird in einem Visitationsbericht festgehalten, dass im Jahre 1700 das Dorf nur von Deutschen bewohnt war und 134 von 143 Familien ihrem evangelischen Glauben treu blieben.
Die gegenreformatorischen Schikanen hörten erst mit der Verkündigung des Toleranzpatents 1781 teilweise auf, bevor sie 1791 durch einen Erlass Kaiser Leopolds II ganz aufgehoben wurden. Den Mühlenbacher Evangelischen gelang es bereits zwei Jahre später, 1793, ihre eigene einfache Holzkirche einzuweihen. Diese wurde 1830 durch eine steinerne, im damals in der Zips üblichen klassizistischen Stil gebaute, Kirche ohne Turm ersetzt. Neben der Kirche entstand ein Schulgebäude und gegenüber der Kirche, auf der anderen Straßenseite, errichtete man den eigenen Glockenturm aus Holz. Die Grundstücke dieser Gebäude lagen am Dorfrand, obwohl dies 1830 nicht mehr vorgeschrieben war. Kirche und Schule waren 1863
Opfer einer Feuersbrunst und wurden wieder aufgebaut, ohne dass die Gemeinde dafür Kredite aufnehmen musste. 1886 schaffte sich die Gemeinde neue Glocken an, die in Bochum gegossen wurden. Nachdem Mühlenbach Jahrzehnte lang vom Matzdorfer Pfarrer mitbetreut wurde, entschloss man sich - ein Pfarrhaus war vorhanden - 1905 mit Ladislaus Treszler wieder einen eigenen Pfarrer anzustellen. (Fortsetzung folgt)
Werner Laser
Die Karpatenpost Dezember 2015
Verwaiste Kirchen in der Oberzips - Mühlenbach
Die letzte große Baumaßnahme der Kirchengemeinde war die Errichtung eines steinernen Glockenturms, der am 8. Nov. 1925 seiner Bestimmung übergeben wurde. Er ersetzte an gleicher Stelle den alten hölzernen Turm und ragt seitdem vom obersten Ende des Dorfes wie ein Wahrzeichen in die Gemeinde hinein. Der lang gehegte Wunsch, an die Kirche einen Turm anzubauen, konnte aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden. 1930 feierte die evangelische Gemeinde mit einem großen Fest und vielen Ehrengästen die 100. Wiederkehr ihres Kirchweihfestes. Es sollte das letzte bedeutende Ereignis der deutschen evangelischen Kirchengemeinde in Mühlenbach sein. 1946 wurden alle deutschen Familien aus Mühlenbach vertrieben. 34 Einwohner kamen im Juni 1946 auf ihrem Weg zurück in die Heimat im mährischen Prerau/Pŕerov in einem von slowakischen Soldaten angerichteten Massaker um. Die hübsche kleine Kirche mit ihrem neuen Glockenturm war nun verwaist, denn die im Dorf verbliebenen und die aus Vikartoviec und slowakischen Gemeinden in Polen angesiedelten Slowaken waren alle katholisch. Die Kommune entschloss sich, das Interieur der verwaisten Kirche der Gemeinde Sokolĉe/Turský Sokolec bei Liptau/ Liptov St. Nikolas/Liptovský Mikuláš zur Verfügung zu stellen. Als diese Gemeinde in den 1960er Jahren dem Bau des Liptauer Stausees zum Opfer fiel, wurde die Kirchenausstattung in Sicherheit gebracht und der wenige Kilometer weiter vom Stausee entfernten Gemeinde Gôtovany übergeben.
Die drei Glocken fanden in der evangelischen Kirche im benachbarten Felka/ Vel'ká eine neue Bleibe, wo sie Jahrzehnte lang sicher und zur Erinnerung an die evangelische Gemeinde Mühlenbachs im Kirchenschiff aufgestellt waren. Formal gehört die evangelische Kirchengemeinde Mühlenbach jetzt zu Felka. Das seelenlos gewordene Kirchengebäude in Mühlenbach übernahm die örtliche Kolchose und funktionierte es wenige Jahre nach der Vertreibung zum Speicher und Geräteschuppen um. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zog 1997 ein Automuseum in die Kirche ein. Die Fassaden und die Innenwände erhielten einen neuen Anstrich und der Fußboden wurde so hergerichtet, dass er für Museumsbesucher und die Exponate geeignet war. 2009 verlegten die Museumsbetreiber ihre Oldtimer nach Kesmark. Seither steht das Gebäude am Ortsrand leer und ist ohne Funktion. An den Fassaden von Kirche und Glockenturm blättert die Farbe und derPutz. Blicke durch die matt gewordenen Kirchenfenster lassen Wehmut aufkommen. Ist dieses einst so hübsche Mühlenbacher evangelische Kirchlein noch zu retten? Es bleibt die vage Hoffnung, dass die großartige landschaftliche Lage Mühlenbachs am Fuße der Hohen Tatra auch evangelische Slowaken als Einwohner anlocken wird. Die in der evangelischen Kirche Felkas behüteten Mühlenbacher Glocken warten darauf. Die Bevölkerung Mühlenbachs wächst rasant, Ende 2014 zählte man bereits 490 Einwohner, 2001 waren es noch 358!
Mit dieser vagen Hoffnung endete vor wenigen Wochen, zum Redaktionsschluss der Oktoberausgabe des Glaubensboten am 30. Sept., dieser Artikel. Er basierte auf Recherchen, die im Sommer 2014 vor Ort angestellt wurden. Doch nur wenige Tage nach Redaktionsschluss verbreiteten sich unter den in Deutschland lebenden Mühlenbachern sensationelle Nachrichten. Der Glockenturm wurde bereits Ende 2014 an das Stromnetz angeschlossen, und das noch vorhandene Uhrwerk wieder instand gesetzt. An allen vier Seiten des Turmes wird nun den Dorfbewohnern auf großen Zifferblättern und mit neuen, glänzenden Zeigern die richtige Tageszeit angezeigt. Alle vier Zifferblätter werden bei Anbruch der Dunkelheit hell beleuchtet. Sogar die drei Glocken sind aus Felka heimgekehrt und warten an ihrem angestammten Platz nun darauf, dass sie bald wieder mit Hanfseilen versehen und geläutet werden. Der Glockenturm ist inzwischen angerüstet worden, damit Handwerker ihn im nächsten Frühjahr neu verputzen und streichen können. Der Felkaer Pfarrer Mgr. Jozef Vereščák konnte einen großen Teil der Kirchenausstattung, die in den Jahrzehnten nach dem Krieg in Gôtovany gestrandet ist, ausfindig machen und von den jetzigen Besitzern das Versprechen erhalten, dass der Altar, die Kanzel, der Taufstein, zwei Abendmahlkelche, vier Kirchenbänke und zwei Bilder von Martin Luther und Philipp Melanchthon bald in ihre Heimatkirche zurückkehren dürfen. Neben der Kirche und dem Glockenturm gehört auch das Pfarrhaus wieder der evangelischen Kirchengemeinde.
Allerdings sind acht Evangelische, die zurzeit ihren festen Wohnsitz in Mühlenbach haben, zu wenig, um auch das Pfarrhaus mit einer Familie zu belegen. Diese überraschende Entwicklungen, andere Religionsgemeinschaften würden sie vielleicht sogar als ein Wunder bezeichnen, kommen nicht von ungefähr. Dahinter stehen mit Mgr. Jozef Vereščák ein tüchtiger und engagierter Pfarrer aus Felka, mit Juraj Albert Puhalla ein in Mühlenbach verwurzelter Visionär und Sponsor sowie mit Julius Vachmansky ein zupackender und kluger Bürgermeister. Und ganz bestimmt auch weitere Mühlenbacher und Felkaer Schwestern und Brüder. Wer von Deutschland aus unsere Mühlenbacher Evangelischen bei der Renovierung von Kirche und Glockenturm unterstützen möchte, kann gerne seine Spende unserem Hilfskomitee zukommen lassen. Wir können dafür Spendenbescheinigungen ausstellen und werden das Geld an Pfarrer Mgr. Jozef Vereščák, ev. Kirchengemeinde Felka, weiterleiten.
Auf dem Überweisungsträger sollte stehen:
Spende für die ev. Kirchengemeinde Mühlenbach.
Unser Konto lautet:
Hilfskomitee für die Evang.-Luth. Slowakeideutschen, Stuttgart
IBAN: DE35 6005 0101 0002 8162 09, BIC: SOLADEST600
Wem die IBAN zu viele Ziffern sind, der kann
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Werner Laser