Die Ansprache bei der Erinnerung an Aurel Wilhelm Scherfel

Sehr geehrter Herr Bischof, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Vorsitzende des Veľká-Vereins, sehr geehrte Brüder und Schwestern,

als ich am Karfreitag in unserer Kirche war, schloss ich für eine kurze Weile die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie das Leben unserer Vorfahren in der Hälfte des 19. Jahrhunderts war. Die Bewohner von Veľká saßen in den Bänken so wie wir heute und falteten die Hände zum Gebet. Es war eine schwere Zeit. Im Jahre 1855 herrschte Cholera und sie betraf Junge auch Alte. In der Kirche ertönten diese Worte (im Original in biblischen Tschechischen): Gott, tadele uns nicht aus Wut und bestrafe uns nicht aus Ärger. Erbarme Dich über uns, weil wir krank sind. Genese uns, weil unsere Körper gequält und unser Geist sehr betrübt ist. Gott, wie lange werdest Du uns noch bestrafen? Wirst Du Dich auf ewig auf uns ärgern? Wende Dich zu uns und reiße unsere Seelen aus der Qual. Heile uns für Deine Barmherzigkeit. Du weißt, Herr, dass kein Toter sich Deiner gedenken und niemand Dich im Grab preisen wird. Aber die Lebenden, die Lebenden werden Dich feiern und preisen. Verlasse uns Deine Gläubigen, nicht, aber erinnere dich an Deine väterliche Liebe, die uns zu Dir zieht und durch Deine große Liebe hilf uns, lege Deine Hand auf uns, sei unser erlösender Heiler, da die Medizin nicht bei Menschen zu finden ist – wende die grauenhafte Cholera von uns ab und untersag, dass sie uns weiter quält, dank Wunden unseren Herren Jesus Christus.

In diese Atmosphäre kehrte der junge Apotheker Aurel Wilhelm Scherfel von den Studien zurück. Er ist am 23. April 1835 in Veľká geboren. Er stammt aus einem ärztlich-apothekerischen Umfeld, wo Fürsorge um die Nächsten selbstverständlich auch für den Preis des eigenen Lebens war. Ein Mensch mit großem Charisma, mit einem warmen Herzen, eng mit dem Geburtsort verbunden, wurde in die Familie des Bürgermeisters und Apotheker Jonathan (*18. 12. 1808 – †22. 10. 1855) und Mutter Amalia, geb. Maléter (*6. 2. 1812 – †17. 1. 1901) geboren, die am 15. Juli 1832 heirateten. Aurels Großvater väterlicherseits Paul Scherfel (†18. 8. 1831) war 32 Jahre als Lehrer und Organist tätig. Der Großvater mütterlicherseits Jakob Maléter war der städtische Chirurg und starb am 23. Oktober 1855 an Cholera. Zum Opfer von Cholera wurde auch Mutters Bruder Gustav Wilhelm Maléter (*18. 9. 1814 – †15. 9. 1855). Der zweite Bruder der Mutter Conrad Robert Maléter (*13. 12. 1824 – †12. 12. 1914) war auch ein Arzt.

Weitere Plagen verfolgten das Leben der Familie auch in den nächsten Jahren. Aurel Scherfel hatte eine Schwester, Amalia Mathilde (*10. 5. 1833 – †27. 2. 1834), und einen Bruder, Julius August (*18. 7. 1840 – †1. 5. 1843), die im Kindesalter starben. Bruder Julius Konstantin (*17. 4. 1847 – †9. 10. 1877), Arzt, starb relativ jung, wahrscheinlich ohne Familie und Apotheker Paul Kornel (*18. 12. 1848) heiratete am 6. April 1880 Irene Irma Maléter. Er starb noch vor Aurel.

Aurel Wilhelm Scherfel war ein sehr begabter Schüler. Die Allgemeinbildung erwarb er in Veľká, wo er auch die lateinische Sprache erlernte. Am Gymnasium in Rožňava verbesserte er seine Kenntnisse in Ungarisch. Seit Mitte 1849 bis Herbst 1850 lernte er weiter bei seinem Vater in der Apotheke in Veľká. Schon als kleiner Junge sammelte er unermüdet Kenntnisse in Naturwissenschaften und war auch an den Schulen, die er besuchte, als Assistent tätig. Seinem Interesse an Wissenschaft folgte das Studium an der Universität. Im Oktober 1850 schrieb sich der junge 14-jährige Schüler als Gasthörer an die Universität in Wien ein, wo er als kaum zwanzigjähriger begabter Student im Jahre 1855 das Pharmazie-Studium beendete.

Wie wir schon erwähnten, kehrte er nach dem Studium im Mai 1850 zurück und schon in kurzer Zeit musste er traurigen Umständen standhalten. Im Sommer dieses Jahres brach eine Choleraepidemie aus. Sie traf leider auch seine Familie. Sein Vater Jonathan unterlag dieser Krankheit im Alter von 47 Jahren. Aurel musste sich um zwei jüngere Brüder im Alter von 6 und 8 Jahren und auch um seine Mutter kümmern.

Die Frau seines Herzen fand der junge Aurel in Veľká. Am 18. Januar 1865 sagte er „JA“ Augustina Lydia, geb. Krompecher (*17. 12. 1845 – † 28. 5. 1901), die aus der Familie des Rechtsanwalts und Stadtnotars Adolf Krompecher (*17. 8. 1819) stammte. Ihr einziger Sohn Aurel Richard Georg studierte der Familientradition nach Pharmazie. An den vierten Tag nach der Rückkehr vom Studium erkrankte er an Scharlach und starb am nächsten Tag. Wahrscheinlich schon während des Studiums litt er an einer näher unbestimmten Krankheit, da er in Budapest unter ärztlicher Betreuung von Dr. Paul J. Haberern stand. Der Tod des geliebten Sohnes traf den Vater sehr und beeinflusste das aktive Leben von Aurel Scherfel.

Aurel Scherfel musste sich nach Vaters Tod um seine Apotheke Pelikan in Veľká, 1789 gegründet, kümmern. Die Apotheke in Veľká war unter der Leitung vom jungen Aurel sehr gesucht. In der Apotheke errichtete er ein chemisches Laboratorium, das er mehrere Jahre mit Laborgeräten ausstattete. Zu denen gehörte auch ein für diese Zeit leistungsstarkes Mikroskop. Er leitete die Apotheke bis 1891. Als Tatra-Liebhaber war er sich bewusst, dass in der Hohen Tatra eine Apotheke fehlt. In dieser Zeit entwickelten sich die Hohe Tatra als Kurort sehr bedeutend und dadurch auch der Tourismus. Deswegen gründete er 1882 in Starý Smokovec eine Niederlassung der Veľká-Apotheke. Um für die Apotheke gute Bedingungen gewinnen, lies er 1883 die Villa Hygiea erbauen.

Seit der Gründung des Zipser Vereins der Ärzte und Apotheker im Jahre 1867 war Aurel Scherfel sein Mitglied. Der Verein war sehr angesehen in der Zips und zu seinen Mitgliedern zählten bedeutende Ärzte, die durch ihre Vorträge breite Gesundheitskreise zdravotnícku verejnosť ausbildeten und als Bahnbrecher der Gesundheitsaufklärung galten. Apotheker Aurel Scherfel nahm an 28 Sitzungen teil und hielt 21 Vorträge, die auf seiner naturwissenschaftlichen Forschung beruhten. Später wurde Aurel Scherfel auch Mitglied des Österreichischen Apothekervereins (1880).

Im Jahre 1862 nahm er auf der Ausstellung in London teil, besuchte Dresden, Leipzig, Berlin, Hamburg, Brüssel, Straßburg, Augsburg, München auch die Schweiz und kam mit vielen Erfahrungen nach Hause. An der internationalen Apothekerausstellung in Wien erlangte er 1883 eine Ehrenurkunde. Im Herbst 1894 fand in Budapest ein Gesundheitskongress statt, wo er als bekannter Apotheker einen Vortrag über Heilkräuter in Ungarn hielt. Im September 1885 wurde an der Allgemeinen Ausstellung in Budapest mit einem Diplom und einer Goldmedaille gewürdigt.

In den Jahren 1868 – 1870 war Aurel Scherfel Bürgermeister von Veľká. Während seiner Amtszeit wurde eine Gemeindeschule ohne konfessionelle Zugehörigkeit, die zwischen den Menschen Einträchtigkeit und Liebe erwecken sollte. Die Liebe zu Kindern  verwirklichte der pragmatische Scherfel in der Fürsorge um die nächsten Generationen. Er wurde zum Vorsitzenden des Schulausschusses. Im Jahre 1856 gründete er als Schulinspektor eine Schulbibliothek und organisierte ein Ansammeln, in dem er 185 Bücher erwarb. Das Amt des Schulinspektors übte er fast 19 Jahre aus. Einige Jahre war er auch Mitglied des Zipser Lehrervereins.

Seine Großzügigkeit und relativ gute materielle Situation ermöglichten Aurel Scherfel die Aurel Richard Georg Scherfel-Kindergartenstiftung, die er dem Andenken an seinen Sohn widmete. Der Stiftung schenkte er sein Haus in Veľká in der Letná-Straße, Nr. 42 (vorher 65), in dem ein Kindergarten und ein Garten gegründet werden sollten. Außer dem Haus schenkte er noch zwei Gärten, einen vor dem Haus und den anderen gegenüber der evangelischen Kirche. Er forderte, dass man aus den Erträgen des Fonds 200 Gulden dem Zipser Haus der Rettung in Spišská Nová Ves und dem Zipser Krankenhaus in Levoča, das Dr. Fleischer, Arzt aus Matejovce bei Poprad, gründete, schenkt. „Der Rest der Zinsen, die der Kindergarten nicht mehr verbrauchen wird, soll man für Gründung weiterer Kultur- und Humanitätsanstalten in Stadt Veľká zu nutzen.

In seinem Testament sicherte Aurel Scherfel außer anderem eine Wohnung und Rente in der Höhe von 500 Gulden aus der Aurel Richard Georg Scherfel-Stiftung für seine Mutter Amalia Scherfel, geb. Maléter. Der Nichte Irma Scherfel, der Tochter seines Bruders Kornel, schenkte er das Geld, das ihm Karol Kornides für den Kauf der Apotheke schuldig war (12 600 Gulden), aber im Fall ihres vorzeitigen Todes vor dem Jahr 1907 sollte diese Summe für den Bau der Wasserleitung für Stadt Veľká aus dem Brunnen beim Wald „Hinter der Scheunen“. Falls eine solche Wasserleistung schon existieren würde, sollten diese finanziellen Mittel für den Bau eines Krankenhauses in Veľká genutzt werden, „in dem alle Kranken der Stadt gepflegt werden sollten im Fall einer Epidemie, wenn es notwendig ist, die einzelnen Patienten zu isolieren. Es handelt sich z. B. um Cholera, Typhus, Masern, Scharlach, Diphtherie usw. Auch dieses Haus soll eine Anschrift tragen: „Aurel Richard Georg Scherfel-Stiftung – Krankenhaus.“ Aurel Scherfel vergaß auch seine Familienangehörigen nicht. Der Feuerwehr in Veľká hinterließ er 100 Gulden. Dem Tatra-Museum vererbte er alle seine Bücher, Bibliotheken und das Hartnack-Mikroskop unter der Bedingung, dass sie ausgestellt werden. Der Verwaltungsrat der Stiftung hielt die im Testament festgelegten Bedingungen nicht ein und das Gebäude wurde für andere Zwecke genutzt.

Tiefer Glauben an Gott brachte den aktiven Scherfel auch zur Arbeit für die evangelische Kirchengemeinde A. B. in Veľká. In dieser Zeit wirkte hier der sehr aktive Pfarrer David Emerici (1806-1886). Aurel Scherfel war in den Jahren 1860-1886 als Kirchenpresbyter und 19 Jahre mit kürzeren Pausen als Schulinspektor tätig. Diesen Zeitraum können wir als eine „goldene Epoche“ im kirchlichen Leben bezeichnen, auch wenn sie mit vielen Sorgen verbunden war. Nach der Rekonstruktion der Kirchen wurde im Jahre 1862 der Stadtturm instandgesetzt. Anstelle vom alten Pfarrhaus und auf den benachbarten Grundstücken, von Elisabeth Emericzy und Johann Scherfel gekauft, entschied sich die Kirchengemeinde ein neues Pfarrhaus und eine Schule zu bauen. Die Bauarbeiten erfolgten in den Jahre 1866-1869. Scherfel hinterließ der evangelischen Kirche 2000 Gulden und einen Garten neben der evangelischen Kirche. „Da ich vermute, dass es im Interesse der Gemeinde sein wird, ein Grundstück für den Bau eines Turms oder andere Zwecke zur Verfügung zu haben“, schrieb Aurel Scherfel in seinem Testament.

Noch zu Lebzeiten von Aurel Scherfel wurde im Jahre 1886 zum Pfarrer der evangelischen Kirche Adalbert Strauch (1839-1903), Sekretär des Tatra-Museums in Veľká, was von einer sehr engen Beziehung zu Aurel Scherfel zeugt.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert entstand in Veľká ein Männerchor. Wir kennen nicht das genaue Gründungsjahr. Der erste Leiter und Dirigent des Chors war Lehrer und heimatkundlicher Mitarbeiter Rudolf Danhauser. Die Tätigkeit des Chors wurde im Jahre 1862 eingestellt und im Jahre 1891 wieder neu aufgenommen. An der Generalversammlung am 11. Dezember 1892 bestätigt wurde. Zu seinem Vorsitzenden wurde in diesem Jahr (1892) einstimmig Aurel Scherfel gewählt. Dieses Amt übte er bis zu seinem Tod im Jahre 1895 aus. Mitgliedschaft im Chor hielt jeder Bewohner von Veľká für Ehre und Bürgerpflicht.

 Aurel Scherfel widmete während seines Lebens viel Zeit der Erforschung der Flora der Hohen Tatra und der Zips. Er interessierte sich vor allem für Heilpflanzen in seiner Umgebung und der Geobotanik. Bei seinem Haus in Veľká und später auch in Starý Smokovec gründete er einen botanischen Garten mit Hochgebirgsflora. Er pflanzte seltene Pflanzen an, später trocknete er sie und erstellte viele Herbarien. Der Garten wurde als Bestandteil der naturwissenschaftlichen Ausstellung des Tatra-Museum genutzt. Neben der Arbeit in der Apotheke widmete Aurel Scherfel seine Zeit vielen wissenschaftlichen Gebieten. Er war sehr an Mineralwasseranalysen interessiert.

Die Liebe zur Natur und zum Geburtsort bewegten Aurel Scherfel dazu, ein aktives Mitglied des Ungarischen Karpatenvereins zu werden. In dieser Zeit entstand die Idee ein Vereinsmuseum zu gründen. Auf der Sitzung des Stadtrates am 11. August 1881 wurde eine sog. Museale Gesellschaft in Veľká (Die Gesellschaft des Tatra-Museums in Veľká) gegründet. Nach der Entstehung des Vereinsmuseum in Poprad errichteten die Veľká-Bewohner ihr eigenes Museum, das vom immer aktiven Aurel Scherfel geleitet wurde.

Kurz vor seinem Tod war Aurel Scherfel noch im Wien, von wo er in Mitte April erkältet zurück nach Hause kam und in drei Tagen, an seinem Geburtstag am 23. April 1895, an Lungenentzündung um acht Uhr Vormittag starb. Das Begräbnis fand am 26. April um 14:00 in Veľká statt. Beerdigt wurde er vom evangelischen Pfarrer aus Spišská Sobota Eduard (Ede) Wittchen.

Das Werk, Liebe und Großzügigkeit dieses bedeutenden Mannes dauerten bis in die heutige Zeit über und wir bleibt uns nur für sein großzügiges Herz zu danken und hoffen, dass ihn auch die nächsten Generationen nicht vergessen.

 

                                                                                              PhDr. Zuzana Kollárová, PhD.

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